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Freitag, 16. Mai 2014

Re: die Gedanken sind frei

Als ich dies hier zu schreiben beginne, formt sich mir ein Frosch im Hals. - Bezüglich Amphibien sollten Sie im Übrigen noch etwas wissen:
setzt man einen Frosch in heißes Wasser, wird er sich springend ins Trockene retten.
Setzt man ihn jedoch in kühles Wasser, dergestalt, dass der Frosch sich wohlfühlt, und erhitzt man nun langsam das Wasser, wird er nichts bemerken, eingehen und sich gar kochen lassen.

Ich kann nicht weiterschreiben und beschließe, stattdessen eine Mail von vorgestern zu beantworten:

Hallo Roland,

freut mich, dass du deine Reise machen konntest. Ich brauche auch mal so eine Veränderung, bin aber derzeit nicht so ein mutiger Einzelgänger, um das durchzuziehen. Japan fände ich reizvoll, vorher auch etwas japanisch lernen...

Job läuft gut, aber ich glaube, dass ich langfristig in der Computerwelt sehr unglücklich werden kann. Für sich genommen ist die Technik interessant und spannend, aber ihr Einsatz verändert sich zunehmend zum Schlechten. Es wird immer deutlicher, dass mit dem Internet nicht nur Zugang zu Wissen und Aufklärung ermöglicht wird, nein, vielmehr scheint es von Anfang an darauf ausgelegt worden zu sein, als Überwachungs- und Kontrollinstrument zu dienen, von Werbung durchsetzt, zur Abzocke geeignet und der Kriminalität ein Paradies.
Während unsere Körper in mehr oder weniger vernünftigen Staaten Steuern anschaffen gehen, konsumieren und Sozialleistungen beziehen, hat sich längst eine weltumspannende Hydra aus Unternehmen, Geheimdiensten und Spaßhehlern unserer Geheimnisse, Interessen, Gedanken und Sehnsüchte bemächtigt.
Das gleiche hätte ich schon vor sieben Jahren sagen können, als ich dem Hewel erklärt habe, dass ich Angst vor der technischen Entwicklung habe und deswegen Informatik studieren will. Nun aber weiß ich, dass alles, was möglich ist, auch gemacht wird und stecke so tief in der Technik, dass ich [mich selbst zensieren muss]. Ich  bin teilweise also zu einem derjenigen Menschen geworden, vor denen ich mich fürchtete.
[Bedenkt man, dass die ersten funktionierenden Computer gebaut wurden, um verschlüsselte Nachrichten zu knacken, merkt man, dass sich die Technik doch nicht so weit ihrer Wurzeln entfremdet hat, wie von mir anfangs gefühlt.
Die Raumfahrt hat ihren Ursprung in der Waffentechnik, die ersten Menschen auf dem Mond waren Soldaten. Die moderne Unterhaltungselektronik ist streng genommen nur ein Nebenprodukt der Propagandamaschinerie des Totalitarismus. Glorreiche Zeiten sind das, in denen wir leben, Zeiten, in denen - beispielsweise - ein Mitarbeiter von Foxconn sich das Leben nahm, weil ihm ein Drecks-iPhone geklaut wurde, das damals noch "geheim" war und das mittlerweile zum Elektroschrott gehört]
Als Alternative und Ausweg wird da für mich die Kunst immer deutlicher, wenngleich ich noch nicht weiß, wie sie mir was zum Essen auf den Tisch bringen kann.

Ich habe mir heute ein paar elektronische Bauteile gekauft, aus denen ich wieder einen Roboter bauen kann, der Musik macht.

Persönlich bin ich gerade etwas melancholisch; am meisten vermisse ich die Liebe. Mit dem Alter reifen auch die Ansprüche. Spatz/Hand | Taube/Dach, das funktioniert nicht bei jedem. Calligaris Vorstellung vom Musenmädchen hat aber was.
Die Malerei verläuft schleppend. Das muss aber nicht schlimm sein, schließlich denke ich trotzdem viel drüber nach.

Du kannst jederzeit nach Stuttgart kommen. Und da unklar ist, wer alles diese Email außer uns beiden lesen wird, kann ich das Ganze auch gleich online stellen. dann ist klar, dass es jeder lesen kann. Ich war sowieso gerade dabei, diese Gedanken für einen Text zur Privatsphäre aufzuschreiben.

Nastrovje!
Manuel

>Hi Manu,
>ja ich wollte mich einfach mal melden.
>Wie gehts dir? Dein Job und die Kunst?
>Ich bin erst vor Kurzem von meiner Asienreise (Nepal, Indien) >zurück.
>Habe noch ein bisschen Kulturschock. Die Welt ist so groß und so >vielfältig!
>Ich denke über ein Treffen in Stuttgart nach. Vielleicht irgendwann >im Sommer.
>Beste Grüße.
>roland.